Schlichter, Rudolf (Calw 1890 -1955 München)
Unterhaltung
Bleistiftzeichnung auf festem Bütten, mit Bleistift signiert und betitelt, um 1922. 50 : 63 cm. Verso ein Bleistiftzeichnung eines Mannes im Halbprofil, dazu die Bezifferung "222" sowie der Nachlaßstempel mit dem Bleistiftvermerk "B 387", darüber erneut in Bleistift vermerkt, daneben ein Stempel "S" im Quadrat, durchkreuzt mit Tinte. Am oberen Rand kleiner hinterlegter Einriss, verso Montierungsstreifen, in den Ecken Stecknadellöchlein, bis auf kleinere Altersspuren sehr schön erhalten. Provenienz: Kunsthandel Fischer, Berlin; Privatsammlung Schleswig-Holstein.
Links sitzt die Prostituierte Mary, sichtlich erschöpft eine Zigarette rauchend, im Gespräch mit einer "Kollegin", die ihr Bein lässig über die Sessellehne geschwungen hat. Eine vergleichbare, "Mary" betitelte, Zeichnung ist im Katalog "Rudolf Schlichter" der Galleria del Levante, Mailand und München 1970 unter der Nr. 32 abgebildet. Schlichter schreibt in seinem Buch "Das widerspenstige Fleisch" von 1932, wie er durch seinen Malerfreund Julius Kasper in seiner Studienzeit an der Karlsruher Akademie (um 1910) auf diese Thematik erstmals hingewiesen wurde: "Den ersten Schlag, den er gegen uns führte, traf unsere Vorstellungen von Kunst. Jeder von uns hatte sich sein eigenes Kunstideal zurechtgezimmert, das jeweils mit dem Namen eines Großen in der Kunst verknüpft war, der eine schwärmte für Trübner, der andere für Thoma, der dritte für Marées, der vierte für Böcklin oder Delacroix. Diese ganze Galerie hoher Kunst erledigte er schon in der ersten ernsthaften Auseinandersetzung; er behauptete, diese Kunst wäre veraltet, nutzlos und lächerlich, das wäre eine Kunst für bürgerliche >Boppele und sonstige Scheißhäfe!< Was uns das alles angehe, fragte er, seiner Ansicht nach sei das eine Welt, die nicht existiere, er könne damit gar nichts anfangen, die blödsinningen Fischweiber eines Böcklin, die nackten üppigen Bürgersäue eines Stuck, die Pappdeckelritter eines Delacroix reizten ihn bloß zum Lachen, für ihn gäbe es nur eine Welt, die der Deklassierten, der Ausgestoßenen, der Dirnen und Zuhälter; diese Welt behauptete er, wäre frei von bürgerlicher Lüge und Heuchelei. Auch das dumme Landschaftsgemale verachte er von Herzen, das sei alles viel zu froh und optimistisch."
Spaziergänger
Lithographie auf festem Bütten, mit Bleistift signiert und nummeriert, 1920. 21 : 28 cm auf 40,7 : 30,7cm. Blatt 10 der 4. Mappe des II. Jahrgangs der "Schaffenden", mit dem Trockenstempel des Euphorionverlages. Eins von 25 römisch nummerierten Exemplaren (Gesamtauflage 125). Söhn HDO 72708-10. Im ehemaligen Passepartout-Ausschnitt etwas lichtrandig.
Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein.
Liebesunterhaltung (auch: Der Verführer)
Tuschpinsel-Lithographie auf Bütten, mit Bleistift signiert, 1923. 34 : 26 cm auf 40,5 : 30,7 cm. Blatt 8 der 4. Mappe des IV. Jahrgangs der "Schaffenden", mit dem Trockenstempel des Euphorionverlages. Eins von 100 Exemplaren (Gesamtauflage 125). Söhn HDO 72716-8. An den Rändern etwas knittrig, ein kleiner Einriss, verso Montierunsgreste.
Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein.
"Schon in seiner Studienzeit in Karlsruhe produzierte Schlichter erotisch-pornografische Grafik, die sich gut verkaufen ließ. Diese frühen Arbeiten signierte er mit dem Pseudonym 'Udor Réthyl'. Für die interessierte Kundschaft entstanden noch Mitte der 1920er Jahre die 'Liebesvariationen'. Bordellszenen sind bei Schlichter oft Persiflagen, in denen das Mysterium des bürgerlichen Nachtlebens eine lächerliche Note erfährt wie beispielsweise in dem Blatt 'Der Verführer'. Männer sind in diesen Zeichnungen oft nur Staffage. Nicht selten wirken sie dümmlich. Die Damen der Halbwelt erscheinen abweisend, manchmal sogar völlig teilnahmslos und puppenhaft." (Greschat, Isabel, Hrsg., Rudolf Schlichter. Großstadt - Porträt - Obsession. Katalog der Ausstellung der Pforzheim Galerie 2008/2009. Nr. 27)
Raufende Frauen (auch: Liebende)
Kreide-Lithographie auf Bütten, mit Bleistift signiert, 1922. 21 : 32 cm auf 30,5 : 41 cm. Blatt 10 der 3. Mappe des III. Jahrgangs der "Schaffenden", mit dem Trockenstempel des Euphorionverlages. Eins von 100 Exemplaren (Gesamtauflage 125). Söhn HDO 72711-10. Verso Montierunsgreste; im ehemaligen Passepartout-Ausschnitt leicht gebräunt.
Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein.
"Schlichter Interesse an sexuellen Außenseitern verbindet sich mit seinem gesellschaftskritischen Blickwinkel. Darüber hinaus werden die Darstellungen aus jenem Bereich durch seine Gewaltfantasien bestimmt. Zu seinen Vorlieben gehörten auch Strangulationen und das Motiv des Erdrosselns wie auf dem Blatt 'Liebende' - einem anscheinend erotischen Gerangel zwischen zwei Frauen. Es erschien in der Grafikmappe 'Schaffende' 1924 [sic] in hoher Auflage und gehört zu einer ganzen Reihe von Bildern Schlichters, die lesbische Erotik zeigen. Ein Ölgemälde zu diesem Thema ist heute verschollen." (Greschat, Isabel, Hrsg., Rudolf Schlichter. Großstadt - Porträt - Obsession. Katalog der Ausstellung der Pforzheim Galerie 2008/2009. Nr. 26)
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