Kunstkontor Dr. Doris Möllers

Piet, Fernand (1869 - Paris - 1942)

Ohne Titel (Im Tanzlokal).

Öl auf Malpappe,  undatiert. 32,9 : 23,4 cm. Verso mit einer angefangenen Akt-Studie und mit dem Nachlaß-Aufkleber „Sucession Fernand Piet“ und der Nummerierung „382“.  
Piet war Toulouse-Lautrec wohl zuerst im Atelier Cormon begegnet und möglicherweise von dem fünf Jahre älteren Kommilitonen in die Tanzlokale und Bars von Montmartre „eingeführt“ worden. Im „Moulin Rouge“, in der „Moulin de la Galette“, im „Le Tambourin“ oder „Tabarin“ boten sich den jungen Künstlern unzählige Motive des Amusements beim Tanz, die jeder auf seine individuelle Weise in Bilder umsetzte.Piet ist geradezu infiziert von dieser neuen Motivwelt und schuf etliche Bilder in den zahlreichen Amüsierlokalen des Montmartre. Nirgendwo mehr als hier postuliert sich das Streben nach Modernität, danach, ein „peintre de la vie moderne“ zu sein. Bei den das Bild dominierenden Frauen, bei der die Rechte den Arm um die Taille der Linken legt, könnte es  sich um die lesbische Tänzerin und Clownesse Cha-U-Kao und ihre Freundin handeln. Sie arbeitete im Moulin Rouge und war eines der Lieblingsmodelle Toulouse-Lautrecs.
Das Moulin Rouge war 1889 gegründet worden und bestand aus verschiedenen Bühnen, auf denen das Publikum professionelle Tanzdarbietungen geboten bekam.

Ohne Titel (Landschaft mit Scheune).

Öl auf Malpappe, kaschiert auf Pappe,  undatiert. 24,3 : 32,5 cm. Auf ehemaliger Rahmenrückwand der Nachlaß-Aufkleber „Sucession Fernand Piet“ und der Nummerierung „240“.

In Cormons Atelier wurde viel über die verschiedenen Kunstströmungen diskutiert. Von François Gauzi, der hier 1885 eintrat, erfahren wir, wie sehr die angehenden Künstler „gebeutelt und zerrissen gewesen“ seien, zwischen Cormons Kunstauffassung und dem, was um sie herum entstand. „Manet war soeben gestorben, aber Degas, Renoir und Cézanne lebten noch.“ (Gauzi, François, Lautrec et son temps. Paris 1954, S. 26. Zitiert nach: Devynck, Danièle, Toulouse-Lautrec und seine Lehrjahre auf dem Montmartre. In: Esprit Montmarte. Die Bohème in Paris um 1900. Hrsg. von Ingrid Pfeiffer und Max Hollein. Katalog der Schirn Kunsthalle Frankfurt 2014. S. 172)

Dieses Bild ist geprägt von kurzen, virtuosen Pinselstrichen, die sich nicht  mehr um die realistische Wiedergabe der Natur bemühen, sondern ganz spontan den Impuls, den der Künstler beim Erblicken des Motivs empfing, in Farbe umsetzen. So sind zunächst die den oberen Bildrand begrenzenden Baumkronen in verschiedenen grünen Pinselschwüngen, teils blau akzentuiert, gemalt worden, dann wohl der mittlere Bereich mit der Scheune und der Allee, um schließlich in großzügigen weißen Tupfen, nicht wirklich ihren zugedachten Raum ausfüllend, den Himmel darzustellen.

Man fühlt sich an frühe Bilder von Maurice Denis (1870-1943) erinnert, zum Beispiel an dessen Baumstudie aus Loctudy von 1893. Der fast gleichaltrige Künstler gilt als der Theoretiker der Künstlergruppe, zu der er sich u. a. Bonnard, Sérusier und Vuillard 1888 als „Les Nabis“ formierte. In kleinen Formaten schufen sie Bilder mit flächiger Formvereinfachung, lebhaften Farben und an japanische Holzschnitte angelehnten Gestaltungsprinzipien, wobei sie zunächst von Gauguin und den Künstlern von Pont-Aven beeinflußt wurden.
Mit den langen, in den Himmel reichenden Stämmen und der hohen Horizontallinie schuf Denis in nebenstehenden Bild ein Credo an die japanische Kunst. Die Rhythmisierung der Landschaft durch die Bäume und der Kontrast von Fläche und Linie weisen auf die beginnende Moderne hin.
„Es gilt ins Gedächtnis zu rufen: Ein Bild ist – bevor es ein Schlachtpferd, eine nackte Frau oder irgendeine Anekdote darstellt – vor allen Dingen eine plane Fläche, die in einer bestimmten Ordnung mit Farben bedeckt ist“ (Maurice Denis 1890).
   


Ohne Titel (Stehender Akt, den linken Arm hinter dem Kopf haltend).

 Öl auf Malkarton, aufkaschiert auf Pappe,  undatiert. 32,3 : 23,6 cm. Verso mit dem Nachlaß-Aufkleber „Sucession Fernand Piet“ und der Nummerierung „56“ .

„Von großem Reiz sind auch Piets Frauenakte. Wenngleich seine Modelle wirklich >ausgezogen<, ohne mythische Verzauberung sind, zeigen sie dennoch nie jene herausfordernde Verachtung und Desillusion, die das Besondere der Akte von Toulouse-Lautrec ausmachen. Piet ist kein Sozialkritiker, sondern nur leidenschaftlicher Voyeur, den der spezifisch sinnliche Reiz einfacher namenloser Großstadtmädchen fesselte.“


Ohne Titel (Stehender Akt, den rechten Arm vor die Brust haltend).

Öl auf Malkarton, aufkaschiert auf Pappe, undatiert. 33 : 24 cm. Verso mit dem Nachlaß-Aufkleber „Sucession Fernand Piet“ und der Nummerierung „58“.

Etliche der Aktstudien Piets entstanden in den Ateliers de la Grande Chaumière in der gleichnamigen Strasse am Montparnasse. Diese legendäre, 1905 in eine Akademie umgewandelten Einrichtung, bot den jungen Künstlern ein Forum für eine von Konventionen freie Kunst, ein Experimentfeld aller technischen Ausdrucksformen und ein Podium für den Erfahrungsaustausch. Die Künstler waren frei, sich dort für einen kurzen oder längeren Zeitraum einzuschreiben und mit oder ohne Lehrer bzw. Korrektur zu arbeiten. Zunächst am Quai des Orfèvres ansässig, gingen dort Delacroix, Manet, Picasso und Cézanne ein und aus. Nach dem Umzug in die Rue de la Grande-Chaumière 14 arbeiteten dort Künstler wie Gauguin oder Modigliani (sie wohnten beide fast nebenan in Haus Nr. 8). Die noch heute existierende Einrichtung war Anfang des 20. Jahrhunderts die bedeutendste Kunstschule in Paris.
Von großer Bedeutung war der Abend-Akt mit den „Croquis à cinq minutes“, an denen ein Modell alle fünf Minuten seine Positur wechselte.


Ohne Titel (Stehender Akt, ein Tuch haltend).

Öl auf Malkarton, aufkaschiert auf Pappe. 33 : 24 cm. Verso mit dem Nachlaß-Aufkleber „Sucession Fernand Piet“ und der Nummerierung „82“ .

Steingräber berichtet von folgender Episode:
„So blieb es nicht aus, daß Cormon mit seinen Schülern manchen Ärger hatte. Kurz bevor van Gogh in sein Atelier eintrat, hatte einer von Cormons Lieblingsschülern, der noch keine 18 Jahre alte Emil Bernard, das alte braune Segeltuch, das als Kulisse für die Aktmodelle diente, kurzerhand mit leuchtend zinnoberroten und smaragdgrünen Streifen bemalt. Diese revolutionäre >Aktion<, die sich wie ein Lauffeuer über den Montmartre verbreitete, hatte zur Folge, daß der Lehrer den Schüler wütend hinauswarf. Zu dessen Vater sagte er: >Ihr Sohn ist sehr begabt, aber er ist ein Unabhängiger<. Als >Indépendant< riskierte man damals eben noch viel.“ (Steingräber, Erich, Fernand Piet. München 1974. S. 19)


Ohne Titel (Auf einem Schemel sitzender Akt mit ausgestreckten Beinen).

Öl auf Malpappe, aufkaschiert auf Pappe. 23,7 : 32,5 cm. Verso mit dem Nachlaß-Aufkleber „Sucession Fernand Piet“ und der Nummerierung „73“ .

Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurden Frauen als Aktmodelle an der Akademie zugelassen. Meist besuchten die Künstler Privatateliers, um weibliche Körper zu malen oder zeichnen, und nicht, wie bis dahin, Werke Alter Meister zu kopieren. Die Alternative war, sich ein Modell zu mieten. Diese konnte man an der Place Pigalle finden, wo jeden Sonntag ein Markt für Modelle stattfand, aber auch in Brasserien und Bars boten viele nach Paris aus ganz Europa angereiste Frauen, darunter auch Prostituierte, die ein Zubrot verdienen wollten, ihre Dienste an.

„Rund um den Brunnen auf dem Place Pigalle, bot sich sonntagmorgens dem Passanten bis 1910 ein kurioses Spektakel, die >foire aux modèles<. Hier konnte der Künstler eine Auswahl für seine Inspiration finden: freundliche junge Mädchen, bereit, für ein paar Münzen etwas von ihrer Zeit zu opfern, kleine Künstlerinnen auf der Suche nach einer finanziellen Aufbesserung, begehrenswerte Kokotte, junge Mädchen mit blondem, braunem oder rotem Haar, professionelle Modelle und solche, die von der Anmut der Kunst berührt sind, junge Näherinnen, Wäscherinnen, Arbeiterinnen, wie sie Zola in >L‘Assommoir< beschrieben hat, oder arme Geschöpfe. Für vier Francs in fünf Stunden geben sie sich den fachkundigen Händen des Malers oder Bildhauers hin.“


Ohne Titel (Sitzender Akt mit ausgestreckten Beinen).

 Öl auf Leinwand, aufkaschiert auf Pappe,  um 1900. 23,4 : 30,7 cm. Verso mit dem Nachlaß-Aufkleber "Sucession Fernand Piet" und der Nummerierung "79".

Die „Befreiung“ der Darstelllung des nackten Menschen von einem religiösen, mythologischen oder historischen Kontext und seiner Transformation in den Alltag ist ein Verdienst des späteren 19. Jahrhunderts, wo sich die Künstler in liberale Ateliers begaben um sich von den Zwängen der akademischen Lehre zu befreien. „... man fand neue Ziele und verdrängte die Gralshüter des Akademismus in die Bedeutungslosigkeit. Die Maler waren hier bei den Menschen und deren Leben und entflohen den düsteren Studiensälen und der Historienmalerei.“ (Stephan, Erik, Hrsg., Von Renoir bis Picasso. Künstler der École de Paris. Gemälde und Zeichnungen aus der Sammlung des Petit Palais, Genf. Katalog der Ausstellung im  Städtischen Museum Jena 2011/12. S. 27)

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