Heckel, Erich (Döbeln 1883 - 1970 Radolfzell)
Frauen am Strand
Holzschnitt auf dickem, faserigen Chinabütten, mit Bleistift signiert, datiert und betitelt, 1919. 45,8 : 32,6 cm auf 70,7 : 55,5 cm. Provenienz: Privatsammlung Rheinland-Pfalz. Bis auf kleinere leicht Knicke am breiten Rand sehr gut erhalten. Dube 320 II. Einzelabzug nach der Auflage des ersten Zustandes und nach der Bearbeitung der Fläche unterhalb der Füße der rechten Frau.
1919 hatte Heckel ein kleines Haus in Osterholz an der Flensburger Förde erworben und verbrachte fortan die Sommer an diesem von Klippen und einem schmalen steinigen Strand gesäumten Küstenabschnitt. Auch auf dem Holzschnitt ist diese Landschaftsformation erkennbar, nur wandelt Heckel sie, besonders durch die exotisch wirkende Vegetation, in eine arkadische Idylle. Davon war der Alltag der Heckels jedoch weit entfernt, mussten sie die landwirtschaftlichen Flächen ihres Hauses bestellen. Sidi Heckel schrieb: „Wir sind ganz Bauersleute [...] Heckel mäht Wiesen fürs Heu, ich rutsche auf den Knien zwischen Rüben, die Überflüssigen ausziehen [...| Dazu brennt uns die Sonne auf den Nacken. Von 1 - 3 ist Ruhe - Badepause, die wir sehr genießen. Es ist immer wieder jeden Tag von neuem schön und beglückend hier zu sein.“
Szene im Wald (Akte in Waldlichtung).
Kreidelithographie auf festem Velin, mit Bleistift signiert und datiert, 1910. 27,5 : 33,9 cm auf 38,2 : 45,9 cm. Dube L 153. Söhn HDO 216-3. Provenienz: Privatsammlung Pfalz.
Einer von nur in wenigen Exemplaren gedruckten Abzüge für die „Sechste Jahresmappe der Künstlergruppe Brücke“ (Blatt 2) 1911. Verso umlaufend Montierungsreste, sonst sehr schöner, kräftiger Abzug.
Unweit von Dresden liegt Schloß Moritzburg mit seinen zahlreichen Teichen, einem beliebten Ausflugsziel, das ab 1884 per Bahn zu erreichen war. Hierhin zog es in den Sommermonaten auch Ernst Ludwig Kirchner (1909-11), Erich Heckel (1909-11) und Max Pechstein (1909-1910), die sich dort mit ihren Modellen völlig ungestört fühlten, denn das, was hier geschah, war aufgrund der Körperfeindlichkeit des Kaiserreichs extrem provokant. „Als wir in Berlin beisammen waren, vereinbarte ich mit Heckel und Kirchner, daß wir zu dritt an den Seen um Moritzburg nahe Dresden arbeiten wollten. Die Landschaft kannten wir schon längst, und wir wußten, daß dort die Möglichkeit bestand, unbehelligt in freier Natur Akt zu malen.“ (Max Pechstein).
Im Hintergrund links sehen wir - in einer Hängematte schaukelnd - Lina Franziska Fehrmann, genannt Fränzi (11.Oktober 1900 - 10. Juni 1950). Ihr Vater war Schlosser, die Mutter Putzmacherin (sie war also nie Artistenkind). Fränzi wurde mit 9 Jahren das jüngste Modell der drei Maler und entsprach mit ihrer kindlichen Quirligkeit und Unvoreingenommenheit deren Vorstellungen von anti-akademischen Bewegungen und größtmöglicher Dynamik. Wie die Brücke-Künstler auf sie trafen ist nicht bekannt, vielleicht durch Kirchners Freundin Dodo, die als Putzmacherin Kontakt zu Fränzis Mutter gehabt haben soll. Mit deren Einwilligung quartierten sich die Maler und Modelle (darunter auch Dodo) in der „Alten Brauerei“ in Moritzburg für mehrere Wochen ein. „Augenblicklich sind wir, d. h. Heckel, Pechstein und ich, auch wieder in Moritzburg. Es gibt nichts Reizvolleres als Akte im Freien.“ (Ernst Ludwig Kirchner). „Wir hatten Glück mit dem Wetter, kein verregneter Tag. (…) Sonst zogen wir Malersleute frühmorgens mit unseren Geräten schwerbepackt los, hinter uns die Modelle mit Taschen voller Fressalien und Getränke. Wir lebten in absoluter Harmonie, arbeiteten und badeten. Fehlte als Gegenpol ein männliches Modell, so sprang einer von uns dreien in die Bresche. Hin und wieder erschien die Mutter, um als ängstliches Huhn sich zu überzeugen, dass ihren auf dem Teich des Lebens schwimmenden Entenküken nichts Böses widerfahren sei. Beschwichtigten Gemüts und von Achtung vor unserer Arbeit durchdrungen, kehrte sie immer nach Dresden zurück. Bei jedem von uns entstanden viele Skizzen und Bilder.“ (Max Pechstein).
Das spielende, tanzende, turnende Kind bot sich ständig ändernde Motive für nun rasch entstehende Zeichnungen und Gemälde, eine gänzlich neue Arbeitsweise entwickelte sich daraus ebenso wie das, was man als einen (kurzfristig existierenden) „Brücke-Stil“ bezeichnet hat: flächige, abbreviate Formen, kantige Konturen, spontaner Pinselduktus und Verzicht auf Perspektive und Proportionen in höchster Intensität.
Auch wenn die Künstler letzteren verleumdeten, läßt sich hier die ungeheuer enge Symbiose der drei Maler in dieser Zeit nachweisen: alle drei malten das Motiv 1910 auch in Öl (Heckel: „Gruppe im Freien“, Merzbacher Kunststiftung, Küsnacht, Schweiz; Pechstein: „Szene im Wald“, Privatbesitz; Kirchner „Szene im Wald“ Städel Museum Frankfurt), und zwar offensichtlich Staffelei an Staffelei stehend.
Geschwister
Holzschnitt auf Bütten, mit Bleistift signiert, 1913. 41,7 : 28,7/31 cm auf 48,5 : 36 cm. Dube 260 II a (von b).
Wohl sehr früher Abzug vor zahlreichen Überarbeitungen vor der Auflage von 40 Exemplaren für die Mappe "Elf Holzschnitte" 1912-1919, Erich Heckel bei J. B. Neumann", Berlin 1921.
Vorzüglich erhalten.
"Die paarige Darstellung von Menschen ist ein häufiger wiederkehrendes Motiv im Werk von Heckel [...]. >Die Geschwister< war auch 1911 das Thema eines Gemäldes (Vogt 1911/1), bei dem die geschwisterliche Beziehung Ausdruck im engen Zueinanderrücken der Figuren fand. Hier nun sind die Figuren, bei denen es sich um Siddi und ihren Bruder handelt, als Zeichen ihrer emotionalen Schutzbedürftigkeit und in Anlehnung an den Darstellungstypus der Muttergottes mit Kind - so eng verbunden, daß ihre Körperkonturen regelrecht miteinander verschmelzen." ("Brücke" und "Blauer Reiter" in der graphischen Sammlung des von der Heydt-Museums. Katalog der Ausstellung Wuppertal 1996/97, S. 79).
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